Die Marksburg über Braubach

Einzig unzerstörte Höhenburg am Mittelrhein aus dem 12.-14. Jahrhundert. Reitertreppe in den Fels gehauen. Webstube, Rüstkammer, Kräutergarten, Folterkammer, Weinkeller und Schmiede. Sitz der deutschen Burgenvereinigung, beherbergt die größte burgenkundliche Bibliothek Europas.

Warum die Japaner Bad Ems nicht kaufen durften oder Burgenkauf auf Japanisch

Eine Vorbemerkung: 1996 wurde auf Okinawa/Japan eine form – und stilgerechte Nachbildung der Marksburg von Braubach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zunächst sollte sie zur Jahrtausendwende fertig werden – doch es ging schneller. Die Vorgeschichte dazu begann 1988 in Bad Ems. Der nachfolgende Bericht wurde in der Zeitschrift „Der Landkreis“ bundesweit veröffentlicht. Er schildert – durchaus humorvoll – die damalige Entwicklung, die nicht ganz ohne Verwicklungen war. Nach dem großen Boom der Japaner im Ausland ist es nun allerdings merklich ruhiger um ihre Investitions- und Kaufbereitschaft geworden, und vieles dieser kleinen Geschichte ist längst Vergangenheit. Die 1:1-Kopie der Marksburg steht indes. Für die Zukunft.

Wenn hin und wieder der Beginn einer Story mit einem Film vergleichbar ist, dann ist es diese. Da sitzen frühmorgens – der Hausmeister hat gerade das Kreishaus für die ganz „frühen“ Mitarbeiter geöffnet – schon vier kleine Männer vor der Tür der Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft im vierten Stock. Etwas unaufgeräumt, zerfahrene Haare, unausgeschlafen. Alle im blauen Anzug, auch einheitliche Krawatte, Aktenköfferchen, Fotoapparat und Videokamera. Japaner.

Die frühmorgendliche, doch überaus friedliche „Invasion“ auf der Insel Silberau in Bad Ems nimmt mit langen Erklärungen der Entschuldigung ihre Fortsetzung. Man habe auf Anraten der Deutschen Zentrale für Tourismus in Tokio unbedingt mit der Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft Rhein-Lahn (WFG) sprechen müssen und sei spontan in den Jet gesprungen. Das bedeutende Projekt, das man vorschlagen werde, rechtfertige aber diesen Überfall. Und als freundliche Geste und Geschenk zugleich werden Visitenkarten verteilt, mit einer leichten 30-Grad-Verbeugung. Eine Geste übrigens, die Japaner sehr ernst nehmen, die sie als Entree betrachten für das Erschließen einer zunächst fremden Person. Mit Freude registrieren die vier Herren, daß das deutsche Gegenüber Kärtchen in japanischer Schrift verteilt. Der „Chef“ der vier Herren ist immer noch nicht ganz auszumachen, Bescheidenheit ist Trumpf. Doch jetzt hebt einer von ihnen an zur offiziellen Begrüßung.

Derlei nette Umgangsformen, von denen auch wir Europäer das eine oder andere durchaus kopieren dürften, könnten weitaus umfassender beschrieben werden. Der japanische Redner – er stellt sich vor als Präsident der Button Corporation Tokio – heißt Fumio Ogawa, lächelt verbindlich und meint, daß die WFG ja schon mal eine Burg an den Mann – sprich Japaner – gebracht hätte. Er wolle nun auch eine erwerben. Der quirlig wirkende Präsident spielt dabei auf die Burg Katz an, die im vergangenen Jahr an einen japanischen Geschäftsmann zur Errichtung eines Luxushotels mit Restaurants und Café verkauft wurde, das aber nur mit der Hilfe der WFG, denn Burgbesitzer ist die noch junge Gesellschaft (leider) nicht.

Herr Ogawa erhält die schmerzhafte Antwort, daß sich dieses gerade gut treffe. Im Kreis gebe es eine Burg, die noch einen neuen Herrn suche (Die Rede war dabei von der Schaumburg bei Diez, die aber inzwischen den Eigentümer gewechselt hat. Auch dort sollen Hotellerie und Gastronomie einziehen). Was dann folgt, darf getrost als „Herumdrucksen“ bezeichnet werden. Immer wieder nimmt der Präsident Anlauf. Obwohl den Japanern bei wirtschaftlichen Aktivitäten sehr leicht „No problem“ von den Lippen geht – es gibt eines, ein Problem. Die japanischen Interessenten wollen nämlich diese Burg mitnahmen. Ja, abbauen, verschiffen und mitnehmen. Man benötige sie für den Mittelpunkt eines zukünftigen Deutschen Dorfes auf Okinawa.

Solch‘ weitreichende Fragen überbrückt man erst einmal, um weitere Informationen zu bekommen, denkt die deutsche Seite bei inzwischen dampfendem Kaffee und flink annullierten Tagesterminen. Wieso eigentlich Okinawa? Einfache Erklärung: Vor über 100 Jahren retteten dort Japaner schiffbrüchige Friesen beim Kentern ihres Schoners. Zum Dank dafür, daß sie die großen Deutschen retten durften, errichteten sie – also die lebensrettenden Japaner (!!) – an dieser Stelle ein Denkmal, zu dem sich ein Jahr später ein weiteres gesellte. Letzteres brachte Kaiser Wilhelm I. mit seinem Kanonenboot Cyclop dorthin auf die Reise. 120 Zentner schwer steht es heute noch einträchtig neben der japanischen Dankesbezeigung. Diese Harmonie und ihre spannende Geschichte wurde sogar 1881 in Leipzig als Buch verlegt und geistert noch heute durch den Schulunterricht japanischer Klassen, Profunde geschichtliche Kenntnisse, Traditionsbewußtsein, Freundschaft zu den Deutschen (hier ist insbesondere Goethe gemeint) führen zum Vorhaben des Deutschen Dorfes. Ach ja und noch eines: Gespür fürs Geschäft.

Man muß nämlich wissen, daß Okinawa so etwas wie das Hawaii Asiens ist, eine Drehscheibe des Tourismus. Japaner und Koreaner tummeln sich hier an südseehaften Stränden. Klar, daß „Mister President“ schon eine Marketing-Konzeption vorlegen konnte. Auch Montagen, wie das deutsche Dorf einmal aussehen soll. Wäre da nur nicht das Problem mit der Burg. In Stade seien sie auch schon bei einem Besuch gewesen. Dort sei damals der Schoner ausgelaufen. Die Resonanz in der Tagespresse habe man als sehr freundlich empfunden (Die Überschrift – aber nur für Insider: „Freundschaft mit Japan – aber die Altstadt bleibt hier“).

Dann die Blitzidee – ausnahmsweise von der deutschen Seite. Wieso eigentlich abbauen und mitnehmen? Nachbauen heißt die Devise. Das schließlich hätten die Japaner ja schon sattsam bewiesen, wobei japanische Kopien durchaus besser geraten können als fremdländische Originale? Was folgt? Die Herren springen auf, Gesichter strahlen. Diese „good idea“ müsse man gleich mit Tokio und Okinawa besprechen. Was folgt, sind Telefonate, Fax-Aktivität, erregtes Getuschel und die Nachricht davon, daß man auch in Japan diese Idee gutheißen könnte. Man habe inzwischen akzeptieren müssen, daß ein deutsches Denkmal bei noch so guter Absicht nicht mitgenommen werden könne. Klar, daß für dieses Vorhaben dann nur die Marksburg in Braubach in Frage komme (Dazu muß der Leser wissen, daß die WFG im vergangenen Jahr die erste deutsch-japanische Burgenpartnerschaft – zwischen Marksburg und der Burg Maruoka – anbahnte. Und damit hatte eigentlich alles angefangen …).

Die Fahrt von Bad Ems nach Braubach geht inmitten herbstlicher Stimmung schnell vonstatten. Schließlich wollen die Japaner die Burg auch einmal sehen, anfassen, fotografieren, Doch die – als ob sie es geahnt hätten – hüllt sich auf ihrem Bergkegel in Nebel. Als dann die Sonne durchbricht, verschlägt es Ogawa und Company die Sprache: „Die ist sehr groß“, meinen die Herren. Nach einer Besichtigung wird wieder telefoniert und gefaxt. Und diesmal kommt das obligatorische „No problem“. Die bescheidene Frage von deutscher Seite nach den Finanzen erübrigt sich wohl, wird aber dennoch gestellt. Für das Gesamtprojekt – so heißt es dann – stünden rund 250 Millionen zur Verfügung. D-Mark natürlich.

Inzwischen haben die Deutsche Burgenverwaltung, die ihren Sitz auf der Marksburg hat und die japanischen Akteure den Lizenzvertrag feierlich unterschrieben, der Baubeginn des Dorfes steht bevor, die Burg wird vermessen und soll zur Jahrtausendwende auf Okinawa thronen. Die Bauphase selbst ist Bestandteil des Programms im Deutschen Dorf, das auch Magnet für Schulklassen und Bildungsreisen werden soll. Angst vor der Kopie braucht am Rhein niemand zu haben. Denn wer die Japaner kennt, weiß, daß sie – wenn sie einmal eine Nachbildung gesehen haben – dann erst recht zum Original streben. Eine hervorragende Werbung für touristische Zwecke also. Und das in einem immer interessanter werdenden Markt.

Inzwischen bahnen sich weitere Geschäfte mit Japanern an. Über die 1. deutsch-japanische Burgenpartnerschaft entwickelten sich Besuche japanischer Reisejournalisten, hervorragende Kontakte zu Japan Air Lines (JAL), Japan Travel Bureau (JTB), Nippon Expreß (auch als Transportunternehmen für die Burg-Steine) und zu japanischen Medien und Korrespondenten überhaupt. „Technical visits“ stehen bei den Organisatoren hoch im Kurs. Gut organisiert war auch eine erste Fernsehhochzeit auf der Marksburg. Der japanische Chansonstar Kyoko Suizenji gab dort vor dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Braubach, Hans Dieter Ilgner, ihrem Manager das Ja-Wort. Als Trauzeuge fungierte Stadtbürgermeister Albert Doerschug. Weitere Hochzeiten stehen nun auf dem (Pauschal-)Programm, auch deutscher Wein vom Mittelrhein fließt zunehmend nach Fernost. Flaschenetiketten mit Marksburg oder Loreley – und was Lahnwein betrifft, mit der Bezeichnung „Goetheberg“ – sind gefragt.

Bei aller Kaufkraft, die die Herren (Damen sind nur selten in diesem Geschäft anzutreffen) in ihren Aktenkoffern mit sich herumtragen – sie wirken meist sehr zurückhaltend und bescheiden. Unzutreffend, daß man nicht hinter ihre Stirn blicken könnte. Es dauert nur länger. Emotionalität ist zunächst genauso wenig gefragt wie deutsches Händeschütteln. Wird zum 19-Uhr-Essen eingeladen, ist klar, daß ein Anliegen vorgebracht werden soll. Das kommt dann auch – aber erst nach dem Dessert, so etwa um 23 Uhr.

Die WFG, die für den Rhein-Lahn-Kreis seit etwa drei Jahren auch die Tourismus-Werbung übernommen hat, registriert (auch) in den Japanern nicht nur gern gesehene Gäste, sondern auch willkommene Investoren. Zur Zeit ist es einfach so, daß für die wirklich großen Projekte kaum deutsche Manager-Portemonnaies geöffnet werden können. Dabei hat sich inzwischen auch das Reiseverhalten der Japaner geändert. Viele kommen jetzt zur Zweit- oder Drittreise nach Europa, nicht wenige möchten auch bisher unbekannte Ziele erobern, beispielsweise auf Goethes Spuren an der Lahn wandeln. Immer mehr kommen auch als Individualtouristen und steuern (natürlich mit hervorragendem Reiseführer in der Hand) das Hotel der Wahl an. Dabei muß es nicht immer – wie bisher bekannt – die oberste Luxusklasse sein. Komfort ist gefragt, doch auch Romantik.

Golfen – das wollen die Herren (dabei sind dann aber auch Damen) aus Fernost natürlich auch gerne. Ein interessierter Geschäftsmann wollte unbedingt einen gut besuchten Golfplatz nahe der Kreisstadt erwerben. „Unverkäuflich“, gehört dem Staatsbad“, meldete die WFG nach Japan. Und dann der Tip: Vielleicht könnte man einen neuen errichten? Auf die zaghafte Frage kam (k)eine überraschende Antwort. Fax aus Tokio: „Was kostet Staatsbad?“

Nachtrag: Die Geister, die ich rief …, so ließe sich die Geschichte fortsetzen. Die Japaner haben Spaß an unserer Region gefunden. Ob wir nun (auf fernöstliche Rechnung) einige Tonnen Felsgestein nach Osaka fliegen (!) lassen oder bei der Errichtung einer deutschen Bäckerei und Metzgerei (natürlich mit Stammpersonal aus heimischen Betrieben) in großer Ferne helfen. Monatlich steht inzwischen mindestens ein Besuch ins Haus. Ein anstrengendes Geschäft, aufreibend zugleich, oft sehr kompliziert und doch manchmal ganz einfach. Nur eines muß man wissen: Abmachungen mit Japanern ziehen eines nach sich: die unmittelbar folgende Umsetzung in die Tat.