Romantiker am Rhein – Die Reisen von Clara Schumann und Johannes Brahms

„Die Erinnerung fällt in das Jahr 1857, als ich fünfeinhalb Jahre alt war. Ich sehe meine Mutter im Wasser stehen und die Arme nach mir ausstrecken; ich werde ihr hinunter gereicht, und sie taucht mich in die Fluten. Das war in Sankt Goarshausen, und meine Mutter hatte mich in den Wellen des Rheins gebadet, getauft fürs Leben …“

Diese kleine Szene aus einem unbeschwerten Urlaub ist eine der frühesten Kindheitserinnerungen der kleinen Eugenie an ihre berühmte Mutter Clara Schumann (1819-1896), die größte Pianistin des letzten Jahrhunderts und Ehefrau des nicht minder großen Komponisten Robert Schumann, dessen Porträt heute den Hundertfrankenschein ziert.

Clara Schumann, die Romantikerin, hegte zu ihrer Zeit eine Vorliebe für die malerische Landschaft des Mittelrheins, die seit Brentano, Heine und Silcher ihren Höhepunkt in der Loreley findet. Claras Verbeugung vor dem Mythos der Loreley – eine Vertonung von Heines „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“ – datiert bereits vom 8. Juni 1843. Ihre erste persönliche Begegnung mit dieser Region fand zwölf Jahre später statt.

1853 hatten die Schumanns den 20-jährigen Johannes Brahms kennen und schätzen gelernt, der sich als Claras „liebste und treueste Stütze“ und als zuverlässiger Freund während Robert Schumanns Krankheit und nach seinem Tod erweisen sollte. Am 12. Juli 1855 brachen Clara Schumann und Johannes Brahms in Begleitung der Haushälterin Bertha von Düsseldorf aus zu einer Reise auf dem Rhein auf. „Die Fahrt durchs Rheintal ward sehr genossen, auch Emsī malerische Umgebung wußten sie zu würdigen, weniger aber die Badegesellschaft, vor der Brahms am folgenden Tage Reißaus nahm,“ so schilderte Berthold Litzmann, der Biograph Clara Schumanns die Anreise nach Bad Ems, wo Clara vor der geplanten Rheinwanderung noch ein Konzert mit der Soprandiva Jenny Lind geben wolte. Clara war in Bezug auf das Konzert etwas verstimmt. Jenny Lind, mit dem Emser Publikum aus früheren Konzerten bekannt, hatte ihr brieflich den wohlmeinenden Rat übermittelt, „klare Sachen zu wählen, die schönheitsliebende Menschen verstehen“.

Doch dem Geschmack eines bunt zusammengewürfelten Badepublikums entgegenzukommen entsprach nicht dem künstlerischen Selbstverständnis einer Clara Schumann. So blieb sie auch am Abend des 14. Juli 1855 im Kursaal zu Bad Ems ihrem eigenen hohen Anspruch treu, wohl ahnend, daß sie mit ihrer hehren Kunst einen schweren Stand neben der populären „schwedischen Nachtigall“ Jenny Lind haben werde.

Wie nicht anders zu erwarten wurde sie vom Verlauf des Konzerts tief enttäuscht: „Unter welchen Gefühlen gab ich es! Wie fühlte ich mich entwürdigt vor solchem Publi- kum, das keines meiner Stücke begriff, sich auch gar nicht die Mühe nahm, sondern nur immer auf die Lind wartete. Ich kämpfte schwer mit meinen Tränen und war nur froh, daß keins meiner Lieben zugegen war, denn Robert wie Johannes hätte das Herz geblutet … Zu Hause weinte ich noch viel – hätte ich doch Johannes bei mir gehabt, er hätte gewiß Trost für mich gehabt. – Der Überschuß dieses Konzerts betrug 1340 Taler, hinreichend, meine Familie die Sommermonate hindurchzubringen und noch etwas zurückzulegen. … So habe ich für dies Erlittene doch wenigstens den Trost!“

Auch die anschließenden Tage im Rheintal brachten wohl einen gewissen Trost. Brahms kam wieder nach Bad Ems, um für Clara und ihre Begleiterin Bertha „den Führer und Reisemarschall abzugeben“. „Johannes nahm sein Ränzel auf den Rücken, mit all dem, was wir brauchten“ und es begann eine fünftägige Fußwanderung, abwechselnd auf der rechten und linken Rheinseite, bei herrlichstem Sommerwetter, rheinaufwärts von Stolzenfels bis zum Niederwald. Brahms schrieb dem Komponisten und Dirigenten Julius Grimm – nicht ohne Ironie in Bezug auf die „Anstandsdame“ Bertha – er hätte sich nie vorstellen können, daß eine Reise mit zwei Frauen solch ein Genuß sein könne. Die beiden Romantiker Clara und Johannes hatten ihre ideale Landschaft gefunden, und es sollte nicht ihre letzte Reise in diese paradiesische Gegend sein.

Fast genau ein Jahr später, am 29. Juli 1856 starb Claras Mann Robert Schumann. Seinem Sarg gingen der Violinist Joseph Joachim und Johannes Brahms als engste Freunde voran.

Mitte August 1856 begab sich Clara mit ihren beiden Söhnen Ludwig und Ferdinand, Brahms und dessen Schwester Elise, die als etwas sauertöpfische, aber ideale Anstandsdame geschildert wird, auf eine Reise nach Gersau am Vierwaldstätter See. Auf dem Weg dorthin legten sie in St.Goarshausen, das ihnen durch die vorjährige Wanderung bekannt war, eine Pause ein und nahmen sich die Zeit zu einem Ausflug in das romantische Schweizertal. Elise Brahms erinnerte sich später: „es war ein schmaler, am Ende sehr steiler Weg, der zur Moosbank führte.“ Diese Moosbank, Claras Lieblingsplatz, und der Weg dorthin waren ein Werk des Verschönerungsvereins St.Goarshausen, „um auch die verborgensten Plätzchen den Besuchern zugänglich zu machen“. Dort „fügten sich bis zu den höchsten Felsspitzen moosbewachsene Staffeln, breiteten sich unter dem grünen Dach der Maien weiche Ruhesitze, sprangen Brücken und Steege über die rauschenden Wellen und dort, wo das lieblichste aller Plätzchen zur kurzen Rast und Erquickung einläd, stieg ein Tempel aus dem harten Gestein, von welchem herab man tief unten den Pfad in den Büschen verschwinden und den rieselnden Bach einem idyllisch gelegenen Mühlchen seine kühle Nahrung spenden sieht.“

Auch 1857 fand sich eine illustre Gesellschaft um Clara Schumann in St.Goarshausen ein. Gerade von einem zweimonatigen, sehr erfolgreichen Konzertaufenthalt in London zurückgekehrt war sie am 12. Juli in Düsseldorf aufgebrochen, um sich für die Sommerwochen wieder in dem kleinen Rheinstädtchen einzuquartieren. Neben Brahms waren diesmal die beiden jüngsten Kinder Felix und Eugenie – in der Obhut von Haushälterin Bertha – mit von der Partie. Vom 27. Juli bis 5. August stieß der Geiger Joachim zu ihnen, und es verging kein Tag, ohne daß musiziert wurde, oder über die Kompositionen der Freunde diskutiert wurde. In Vorbereitung auf die kommende Konzertsaison studierte Clara in enger Abstimmung mit Brahms und Joachim die „Pastorale“ und zwei weitere Sonaten des „Gottes“ Beethoven neu ein.

Man kann wohl annehmen, daß die Gesellschaft im „Adler“, dem ersten Haus des nassauischen Amtsstädtchens logierte. Dort saß man täglich gemütlich in dem „blüthenumdufteten Garten … in einer der von Jasmin und Geisblatt umwobenen, durch die unmittelbare Nähe des Stroms doppelte Kühlung gewährenden Lauben.“ „Erinnerung an den Rhein 1857. Im Sommer von Johannes mir geschenkt.“ so beschrieb Clara die liebevoll arrangierte Klatschmohnblüte in ihrem Blumen- tagebuch, das sie einige Jahre später in Berlin anlegte um darin Erinnerungen an bewegende und beglückende Augenblicke festzuhalten. Diese kleine Blüte stammte von einem der zahlreichen Ausflüge. Man besuchte die nahegelegenen Burgen und Berge, genoß die anheimelnde Atmosphäre der kleinen Städchen im pittoresken, von dem typisch weichen Licht durchfluteten Rheintal. „Aus diesem Aufenthalte in Sankt Goarshausen erinnere ich mich noch eines Spaziergangs auf die „Loreley“, auf der die uns führende weibliche Begleiterin in Tränen zerfloß. Ihren Kummer kannte ich nicht und hätte ihn wohl auch nicht verstanden, aber „Loreley“ und Tränen waren für mich von dem Tage an unzertrennlich“, so die Erinnerung von Claras Tochter Eugenie.

Vom 2. bis 4. August unternahm man eine größere Tour über Lorch ins Sauertal und weiter über das damals berühmte Taunusbad Schwalbach nach Wiesbaden und auf dem selben Weg zurück.

Auch Julius Grimm kam Ende August für einige Tage nach St.Goarshausen. Für ihn fertigte Clara Schumann in diesen Tagen eine Abschrift der „Ungarischen Variatio- nen“ von Brahms mit der Widmung „Herrn Julius Otto Grimm / zur Erinnerung an die Tage / in St.Goarshausen. / August 1857. / Clara Schumann.“ Die Urlaubswochen am Rhein fanden mit einem Ausflug nach Bad Kreuznach und Münster am Stein ihr Ende. Am 5. September kehrte Clara nach Düsseldorf zurück, um ihren Umzug nach Berlin vorzubereiten. Doch schon im darauf folgenden Jahr werden wir sie wieder am Rhein sehen.

Ende Juni 1858 unterbrach sie eine vierwöchige Badekur in Wiesbaden, um mit ihrer ältesten Tochter Marie die Orte zu besuchen, an denen sie sich bereits mit Brahms und Maries jüngeren Geschwistern aufgehalten hatte. Im Blumentagebuch finden wir eine Rose mit Schleierkraut, umgeben von Nelken und Blättern der Blatterbse, versehen mit dem Datum „St. Goarshausen d. 26. Juni 1858“. Es sollte Clara Schumanns letzte Erinnerung an St.Goarshausen sein.

Die Romantiker Clara und Johannes kehrten nicht mehr an den Ort zurück, an dem sie vor fast eineinhalb Jahrhunderten glückliche Sommertage verbracht hatten. Vielleicht war es der moderne Verkehr in Form des 1859 begonnenen Eisenbahnbaus, der die Harmonie zwischen Mensch und Natur, nach der sich die empfindsamen Seelen sehnten, zu bedrohen begann und den Romantikern schließlich die idyllische Rheinlandschaft nahm. Diese Landschaft, die dem Ideal der romantischen Sehnsucht so nahe kam, die sich aber viel idealer in den Erinnerungen und dem künstlerischen Schaffen der Romantiker verewigte, in Erinnerungen wie denen, die Johannes Brahms in einem Brief nachklingen lässt : „Herzliebe Clara. … Ich denke viel an St.Goarshausen, ich habe manchmal förmlich Sehnsucht nach dem Rhein. Das ist eins der wonnigsten Gefühle für mich, die Sehnsucht, das durchschauert so süß, daß Einem ganz, ganz wohl wird …“

Autor ist Herr Manfred Köhn

Literatur:

Ingrid Bodsch / Gerd Nauhaus (Hrsg.). „Clara Schumann 1819 – 1896“, Stadtmuseum Bonn (Kat.) 1996

Renate Hofmann / Harry Schmidt: „Das Berliner Blumentagebuch der Clara Schumann“, Wiesbaden 19962

Catherine Lépront: „Clara Schumann. Künstlerleben und Frauenschicksal“, München 1992

Berthold Litzmann: „Clara Schumann. Ein Künstlerleben“ Bd. 2, Leipzig 1906

Berthold Litzmann: „Clara Schumann. Ein Künstlerleben“ Bd. 3, Leipzig 1908

Dr. Wilhelm Magdeburg: „Die Traubencur nebst historisch-topographischer Beschreibung St.Goarshausens und seiner Umgebung“, Wiesbaden 1854

Nancy B. Reich: „Clara Schumann. Romantik als Schicksal“, Hamburg 1993

Eugenie Schumann: „Erinnerungen“, Stuttgart 1943

Kreisamtsblatt f.d.Kreis St.Goarshausen Nr. 40, 18.05.1853

Mittelrheinische Zeitung Nr. 161, 12.07.1855

Der Spiegel Nr. 28 / 1996